Wehrtechnik-im-Aufwind

Jahresbericht des Arbeitkreises Wehrtechnik Schleswig-Holstein

Wehrtechnik im Aufwind

Der Ukraine-Krieg hat auch die deutsche Wehrtechnik verändert. Die „Zeitenwende“ soll der Bundeswehr neue Flugzeuge, Panzer und Boote bescheren. Bei der Vorlage des Jahresberichtes des Arbeitskreises Wehrtechnik Schleswig-Holstein konnte der Vorsitzende Dieter Hanel eine positive Bilanz ziehen: „Die wehrtechnische Industrie in Schleswig-Holstein mit ihren rund 30 Unternehmen konnte aufgrund der weltweit angestiegenen sicherheits-politischen Bedrohungen, der geopolitischen Machtverschiebungen und der vielschichtigen Risiken einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des Industriestandortes Schleswig-Holstein leisten.“

Die Unternehmen verzeichneten mit gut 7.400 direkt in der Wehrtechnik Beschäftigten seit 1992 einen Personalhöchststand und seit 2010 einen Zuwachs von 50 Prozent. Sie erhielten bedeutende Aufträge mit neuen, missionsgerechten und technologisch federführenden Produkten - insbesondere im Ausland und behaupteten so ihre starke Marktposition.


Sicherheitspolitische Herausforderungen


Im Weiteren führte Hanel aus: „Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die potentielle Bedrohung des Bündnisgebietes der NATO sowie das Aufkommen neuer, global agierender Mächte, wie China, kennzeichnen den Beginn einer neuen Weltordnung. Sie haben die verteidigungspolitischen Unzulänglichkeiten und die unzureichende Ausrüstung der Bundeswehr verdeutlicht. Diese beträchtlichen Ausrüstungsmängel sollen jetzt durch ein Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro und mit der Zusage, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben, verringert werden. Beim Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland mit 1,49 Prozent in der NATO an 20. Stelle. Bei den Ausgaben für Beschaffungen, für die 20 Prozent vereinbart wurden, liegt das Land einem Anteil von 18,6 Prozent sogar nur an 23. Stelle (Quelle: NATO, 31.03.2022).

 

Streitkräfte und wehrtechnische Industrie


Die Streitkräfte und die wehrtechnische Industrie bilden strategisch eine unverzichtbare Grundlage für unsere nationale Sicherheitsvorsorge und ein wesentliches Element einer strategischen und glaubwürdigen deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eine moderne, wettbewerbs- und leistungsfähige nationale Rüstungsindustrie verhindert ungewünschte Abhängigkeiten auf dem Rüstungssektor und ist eine zwingende Voraussetzung zur internationalen Rüstungskooperation. Die industrielle und technologische Basis ist ein unverzichtbares Element der Glaubwürdigkeit deutscher Verteidigungs-politik. Die Beseitigung der gravierenden Ausrüstungslücken der „blanken“ Bundeswehr wird nur möglich sein, wenn es neben den benötigten Finanzmitteln nach zahlreichen erfolglosen Ansätzen gelingt, ein leistungsfähiges Rüstungsmanagement aufzubauen. Es gilt, ausufernde Kostensteigungen und massive Terminverzögerungen zukünftig zu vermeiden und die Zeitabläufe in der Beschaffung, insbesondere in der Angebotsphase zu verkürzen.

Marineschiffbau und Marinetechnik


Deutschland ist als Industrienation in hohem Maße vom Export abhängig und hat als führendes Exportland erhebliche wirtschaftliche sowie sicherheitspolitische Interessen. Deshalb muss die deutsche Sicherheitspolitik immer eine bedeutende maritime Komponente haben. Unser Land benötigt sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und technologisch eine eigene innovative, global agierende Marineindustrie. Der überwiegende Anteil des deutschen Marineschiffbaus ist in Schleswig-Holstein angesiedelt. Die 16 leistungsfähigen, zumeist mittelständisch geprägten Unternehmen dieses Bundeslandes sind ein wichtiger Bestandteil der deutschen Rüstungsbasis. Schleswig-Holsteins Marineschiffbau ist international wettbewerbsfähig und in einigen Branchenbereichen Marktführer. Der Exportanteil am Umsatz beträgt rund 50 bis70 Prozent. Von den 37 relevanten Auftragseingängen, die der Marineschiffbau in Schleswig-Holstein in den letzten zehn Jahren erhalten hat, kommen 30 aus dem Ausland. Schwerpunkte der 19 Länder liegen in Europa, Asien sowie im Mittleren Osten und Nordafrika (MENA).

 

Landsystemindustrie


Deutschland ist aufgrund seiner geostrategischen Lage in erster Linie eine Landmacht. Daraus resultiert die Bedeutung der deutschen Landsystemindustrie, die auch in Schleswig-Holstein breit aufgestellt ist. Die Landsystemindustrie zählt 12 Unternehmen, in denen rund 1.800 Mitarbeiter in der Wehrtechnik beschäftigt sind. Sie ist besonders stark am Gepanzerten Transport-Kraftfahrzeug BOXER und am Schützenpanzer PUMA beteiligt. Darüber hinaus tragen in dieser Branche im Ausland maßgeblich die Pionierpanzer KODIAK und WISENT 2, die Schützenpanzer LYNX und die britischen BOXER zur Auslastung bei.

 

Auslandsmärkte


Für die deutsche wehrtechnische Industrie hat das Ausland hat als Markt aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage stark an Bedeutung gewonnen. Der große Exportanteil am Umsatz (50 bis 70 Prozent) und die erfolgreiche Erschließung zahlreicher relevanter Auslandsmärkte verdeutlichen dies. Von den 91 relevanten Aufträgen der letzten zehn Jahre entfielen 62 auf den Export, davon 26 Aufträge aus Drittländern mit den Schwerpunkten Fernost sowie Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA). NW/SL

Zehn politische Handlungsfelder

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1. Aufbau neuer militärischer Kapazitäten und Fähigkeiten

Die Bundeswehr und die wehrtechnische Industrie sind zwei Säulen unserer Sicherheit. Die wachsenden Bedrohungen und vielschichtige Risiken erfordern im Rahmen der Bündnis- und Landesverteidigung, des internationalen Krisenmanagements sowie des Katastrophen-schutzes nach umfangreichen Personal- und Materialreduzierungen der Bundeswehr den zügigen Aufbau neuer militärischer Kapazitäten und Fähigkeiten.

 

2. Beschaffung der benötigten Ausrüstung

Dafür ist es erforderlich, dass zum Erhalt der sicherheitspolitisch und technologisch notwendigen Kapazitäten in der Rüstungs-industrie in Deutschland auch die benötigte Ausrüstung zur Schließung der Fähigkeitslücken der Bundeswehr beschafft wird.

 

3. Sicherung der wehrtechnischen Kapazitäten

Aufgrund der sicherheitspolitischen Zielsetzung muss gewährleistet sein, dass Deutschland die militärischen und rüstungsindustriellen Kapazitäten unterhält, die der politischen Bedeutung unseres Landes, unseren Bündnisverpflichtungen und unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht werden.

 

4. Erhalt der Schlüsseltechnologien

Die wehrtechnischen Unternehmen verfügen über ein breites Spektrum nationaler wehrtechnischer Schlüsseltechnologien und Kernfähigkeiten, auf die auch künftig aus sicherheits-, industrie- und bündnispolitischen sowie technologischen und rüstungs-wirtschaftlichen Gründen nicht verzichtet werden kann.

 

5. Anpassung der Rüstungsexportbestimmungen

Aufgrund der verstärkten europäischen und transatlantischen Rüstungskooperationen bedarf es zur Sicherung der Chancen-gleichheit im internationalen Wettbewerb dringend einer Harmonisierung der europäischen Rüstungs-exportbestimmungen. Nur so kann die Kooperationsfähigkeit der wehrtechnischen Industrie erhalten und eine Ausgrenzung (mit „German-free Product“), vermieden werden. Ohne eine flankierende politische Unterstützung und eine strategisch zwischen Politik, Bundeswehr und Wirtschaft abgestimmte Vorgehensweise wird es immer schwieriger, eine deutsche Beteiligung bei großen ausländischen Rüstungsprojekten erfolgreich durchzusetzen.

 

6. Nationale Beteiligung bei Auslandsbeschaffungen

Bei der Beschaffung von ausländischen Rüstungsgütern sollte eine angemessene, wirtschaftlich vertretbare Beteiligung der deutschen Industrie, insbesondere der mittelständischen Unternehmen, gewährleistet und eine entsprechende Kompensation im jeweiligen Ausland (Offset-Regelung) angestrebt werden.

 

7. Auslandsgesellschaften

Die Standortsicherung der wehrtechnischen Industrie in Deutschland bedeutet nicht zwingend, dass sich ein hier ansässiges Unternehmen in deutscher Hand befinden muss. Entscheidend ist, dass keine ungewollten Abhängigkeiten von ausländischen Führungs-gesellschaften entstehen, die hochwertigen Arbeitsplätze erhalten bleiben und kein Know-how ungewollt abfließt.

 

8. ESG-Bestimmungen (Environment, Social, Governance) der EU-Kommission

Die geplanten ESG-Bestimmungen der EU-Kommission (Environment, Social, Governance), auch Taxonomie genannt, stufen die Verteidigung und die Rüstungsindustrie als „nicht nachhaltig“ und „sozial schädlich“ ein. Dies hat bereits jetzt zur Folge, dass darauf Bezug nehmend vermehrt diesen Unternehmen mit politischer Anmaßung der Zugang zum Kreditmarkt verwehrt wird. Diese existenzbedrohende Stigmatisierung verkennt – insbesondere angesichts der militärpolitischen Lage - die Bedeutung der Rüstung und der Verteidigungsindustrie für die Sicherheit und widerspricht unseren außen- und sicherheitspolitischen Interessen.

 

9. Flankierende politische Unterstützung im Ausland

Ohne eine flankierende politische Unterstützung und eine strategisch zwischen Politik, Militär und Wirtschaft abgestimmte Vorgehensweise wird es immer schwieriger, eine deutsche Beteiligung bei großen ausländischen Rüstungsprojekten erfolgreich durchzusetzen.

 

10. Erarbeitung eines Gesamtsicherheitskonzeptes

Angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen, global aggressiv agierender Mächte, des terroristischen Bedrohungsspektrums und hybrider Kriegsformen steht die Entscheidung an, wie die äußere und innere Sicherheit insbesondere auf Landesebene stärker zu einem Gesamtsicherheitskonzept verzahnt wird und eine Unterstützung durch die Bundeswehr mit ihren besonderen personellen, technischen und organisatorischen Fähigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit gewährleistet werden soll. Zudem haben die Corona-Pandemie und die verheerende Flutkatastrophe im Rheinland, aber auch der Krieg in der Ukraine, verdeutlicht, dass unser Land besser für kommende Krisen gerüstet und insbesondere der Bevölkerungsschutz reformiert werden muss.

 

 

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