Anti-AfD-Aktionismus

Anti-AfD-Aktionismus

Kommentar von Peter Axel Haas zu den Anti-AfD-Demonstrationen in zahlreichen deutschen Städten

Hamburg, 19. Januar 2024. Die (nord-) deutsche Demonstrationskultur bildet seit Jahrzehnten einen wesentlichen Teil demokratischer Gepflogenheiten. Die 68er-Generation machte das Auf-die-Straße-gehen hoffähig, die Anti-Atom-Bewegung zeigte zwischen Brokdorf und Wackersdorf schon in den siebziger Jahren ihre Stärke, wenn auch in Teilen mit großer Brutalität. Spätestens seit den (friedlichen) Demos gegen überzogene Schulreformen, allzu rigide Corona-Schutzmaßnahmen, den russischen Überfall auf die Ukraine oder den palästinensischen Terror gegen Israel hat das „Zeichen setzen“ auf den Plätzen vieler Städte und Gemeinden die bürgerliche Mitte erreicht.


Und nun also geht es gegen die AfD, in Hamburg gleich mit zehntausenden Teilnehmern, auch  anderswo mit vielen tausenden. Keine Frage, diese einst rechtskonservative Partei nimmt einen gefährlichen Weg: Relevante Vertreter halten offenbar engen Kontakt zu erklärten Rechtsradikalen, schwurbeln in Potsdam und anderswo mit denen über „Remigration“ – ein Begriff, der nicht weit von der „Deportation“ weg ist, wie sie Deutschland in seinen dunkelsten Zeiten erlebt hat. Das erbost Demokraten, Verfassungspatrioten, selbst die sonst zurückhaltenden Unternehmer des UVNORD zu recht, bringt Massen auf die Straße.


Gleichwohl sollte die Frage erlaubt sein, ob das Demonstrieren in diesem Fall klug ist. Ein Blick in unsere europäischen Nachbarländer zeigt, dass von Schweden über die Niederlande, Frankreich, und Italien bis nach Polen die großen Aufmärsche „gegen Rechts“ wenig bis gar nichts gebracht haben. Ganz im Gegenteil, der öffentliche Aufruhr und die mediale Dauerpräsenz haben den Rechtsnationalen überall genutzt: In Stockholm stützen sie eine liberal-konservative Minderheitsregierung, in Den Haag stellen sie die größte Parlamentsfraktion, in Paris hat ihre Anführerin Aussichten auf das Präsidentenamt, in Rom stellen sie die Premierministerin. Nur in Warschau wurden sie, wenn auch knapp, abgewählt. Weil sie als Regierungspartei den Bogen mit antidemokratischer, autoritär unterfütterter Politik überspannt haben. Weil mit Donald Tusk ein starker Gegner mit politischer Erfahrung die Menschen für sich an die Wahlurne gebracht hat. Und weil sich der liberale Ex-Premier und EU-Kommissar den Themen durchaus angenommen hat, die Rechtsnationale gern besetzen: Illegale Migration, Überfremdungsängste, wuchernde Bürokratie, Furcht vor dem sozialen Abstieg, vor allem im „abgehängten“ ländlichen Raum.

Das dürfte auch in (Nord-) Deutschland der intelligentere Weg ist: Großdemos werden hartgesottene AfD-Anhänger eher in ihrer selbstgewählten Außenseiter- und Opferrolle bestätigen. Durch multiple Krisen verunsicherte Wahlbürger könnten gar auf die Idee kommen, dass angesichts der geballten Aufmärsche von „Altpartei-Anhängern“ (AfD-Sprech) und Vertretern etablierter  gesellschaftlicher Gruppen doch etwas an der rechtsnationalen Kritik daran sein könnte, dass das politische  „Establishment“ Schuld an den wachsenden Problemen im Land habe. Die Gefahr eines AfD-Konjunkturprogramms durch ständige Umzüge gegen sie ist groß. Sie wird noch größer durch Debatten über ein Parteiverbot, das nach einem nicht unwahrscheinlichen Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht in einen rechten Sieg umgedeutet werden würde. Und sie kulminiert, wenn Thüringens rot-grün-rote Landesregierung dem rechtsextremen Björn Höcke tatsächlich die Bürgerechte entziehen würde – eine bessere Märtyrer-Ausgangslage zur Landtagswahl im September dürfte sich der Erfurter AfD-Chef kaum wünschen können.


Stattdessen sollte sich die Politik auch im Norden verstärkt den von Rechtsnationalen mit Erfolg besetzen Themen widmen:  Wann kommt endlich der Abbau der erdrückenden Bürokratie, von dem alle reden? Daniel Günthers Kieler Koalition legte da gerade einen vielversprechenden 20-Punkte-Plan im Bundesrat vor, den Hamburg, Hannover, Bremen und Schwerin hoffentlich mittragen. Wie lange dauert es, bis die rasant wachsende illegale Migration endlich gestoppt wird und stattdessen eine nennenswerte Fachkräftezuwanderung aus der ganzen Welt nach (Nord-) Deutschland einsetzt? Die Bundesregierung hat vorsichtige, aber viel zu kleine Schritte in diese Richtung unternommen. Die Grünen in den Kabinetten an Förde, Elbe, Weser oder Spree weigern sich aber hartnäckig, weitere sichere Herkunftsländer auszuweisen, Asylverfahren standardisiert außerhalb der EU durchzuführen oder gar über eine Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz nachzudenken. Auch die Frage, ob Doppel-Staatsbürgerschaften wirklich identitätsstiftend sind, wird weiter als rechte Provokation abgetan. Und wann begreifen (nord-) deutsche Kultusbürokratien endlich, dass frühestmöglicher und verpflichtender Sprachunterricht für Zwei- oder Dreijährige ohne Deutschkenntnisse in Kitas und Vorschulen unerlässlich ist, um sozialem Abstieg und misslingender Integration vorzubeugen? Solange sich an all‘ dem nichts ändert, wird der „Kampf gegen Rechts“ (Rot-Grün-Sprech) nicht vorankommen. Egal, wie viele hochmotovierte Demonstranten sich auf dem verschneiten Jungfernstieg und anderswo kalte Füße holen.

Peter Axel Haas   

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