Aufbruch oder Stillstand?
Die Koalitionsverträge sind unterschrieben, die Posten weitestgehend verteilt, im Berliner Kabinett wie im Hamburger Senat. Ist das jetzt der Aufbruch zu Wirtschafts- und Politikwende oder nur die Neuorganisation von Stillstand und ‚Weiter so‘?
Von: Peter Axel Haas
Hamburg, 29. April 2025. Euphorie jedenfalls ist angesichts der festgeschriebenen Politikinhalte und austarierten Personaltableaus an der Spree wie an der Elbe kaum auszumachen. Immerhin neugieriges Interesse lösen im Norden die Minister- und Staatssekretärsnominierungen des designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz aus.
Dass mit Johann Wadepfuhl als Außenminister-Kandidat und Karin Prien als Bildungsminister-Aspirantin gleich zwei schleswig-holsteinische CDU-Politiker der neuen Regierung angehören sollen, wurde zwar schon seit Wochen spekuliert. Eine kleine Überraschung bleibt es dennoch, dass der nicht sehr große Unions-Landesverband zwischen den Meeren diese beiden wichtigen Häuser besetzen soll.
Merz will so wohl den liberalen Unions-Flügel um den Kieler Ministerpräsidenten Daniel Günther einbinden. Und er hat sich zwei ausgewiesene Experten geholt: Prien ist es in fast acht Jahren als Kulturministerin an der Förde mit beherzten Auftritten und klugen Politikansätzen gelungen, sich einen Namen zu machen. Wadepfuhl ist ein ausgewiesener Außenpolitik-Insider, der sich seit mehr als anderthalb Jahrzehnten im Bundestag mit Europa- und Weltpolitik beschäftigt. Er dürfte im Auswärtigen Amt nach den Baerbock’schen Eskapaden der letzten Jahre („feministische Außenpolitik“) wieder Ordnung einkehren lassen und gleichzeitig dem ambitionierten Kanzler Merz viel Spielraum für eigene Initiativen in unruhigen Zeiten verschaffen. Prien wiederum ist auch durch ihre Rolle als stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende erfahren und energisch genug, um im Zuständigkeitswirrwarr zwischen 16 Bundesländern und dem Bund für mehr gemeinsame Orientierung zu kämpfen. Dass die Familienthemen mit den Kernelementen Krippe- und Kita-Erziehung jetzt auch in ihr Haus wandern, lässt einen ganzheitlicheren Ansatz in der Bildungspolitik erwarten.
Aus Hamburg wird es der klar konservativ orientierte Innenpolitiker Christoph de Vries in die Position des Parlamentarischen Staatsekretärs im Bundesinnenministerium schaffen – eine Belohnung für fleißige Ausschussarbeit und gute Medienpräsenz. De Vries passt mit seiner ruhigen, verbindlichen Art, die dennoch klare politische Kante gegen migrationspolitische Träumereien vor allem der Grünen nicht ausschließt, sehr gut zum gesetzten neuen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Ob das auch für den quirligen Philipp Amthor aus Vorpommern gilt, der im neuen Digitalministerium des Wirtschafts-Seiteneinsteigers Karsten Wildberger (ehemals MediaMarkt-Chef) Staatsekretär für Bürokratieabbau werden soll, wird sich erweisen müssen.
Das gilt auch für die einflussreiche Vorsitzende der Mittelstandsunion (MIT) Gitta Connemann: Die selbstbewusste Ostfriesin soll als Parlamentarische Staatssekretärin die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche unterstützen, die wiederum nach Jahren an Verbands- und Unternehmensspitzen in die Politik zurückkehrt. Ein Wagnis geht Friedrich Merz schließlich mit der Nominierung von Wolfram Weimer als Kultur- und Medienstaatsminister ein: Der betont konservative Journalist (ehemals Chefredakteur von Welt, Focus und Cicero) und erfolgreiche Medienmanager (Business Punk, The European) wird sich mit der rot-grün dominierten Kulturszene des Landes absehbar anlegen – was sich das bürgerliche Publikum angesichts der regelmäßigen Entgleisungen bei staatssubventionierten Documenta-Ausstellungen, auf Staatstheaterbühnen und in Rückgabe-orientierten Museen aber wohl gerade wünscht.
Bei den Sozialdemokraten dürften Parteichef Lars Klingbeil als Finanzminister und Vizekanzler sowie Boris Pistorius als Verteidigungsminister gesetzt sein, ebenso die ehemalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas als Arbeits- und Sozialministerin – eine ernstzunehmende regierungsinterne Gegnerin für die neue CDU-Chefin des Wirtschaftsressorts. Bas‘ Vorgänger Hubertus Heil soll offenbar SPD-Fraktionschef werden – auch das ein Counterpart von Gewicht für Jens Spahn, der die ganze CDU/CSU-Bundestagsfraktion wohl erst noch hinter sich bringen muss.
Bei so viel Berliner Veränderungen wirken die Hamburger Senatsbesetzungen fast langweilig: SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher lässt unter seinen Genossen alles beim Alten. Nicht nur starke Senatoren wie Andreas Dressel (Finanzen), Andy Grote (Inneres) und besonders Melanie Leonhardt (Wirtschaft) dürfen bleiben, auch konturlose wie Schulsenatorin Ksenija Bekeris und Sozialsenatorin Melanie Schlotzauer. Bei den Grünen wirkt der Wechsel der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank vom Wissenschafts- ins Umweltressort fast wie eine Strafversetzung. Und die Nominierung der Grünen-Landeschefin Maryam Blumenthal als neue Wissenschaftssenatorin mag mit Frauenquote und Migrationshintergrund (gebürtige Iranerin) zu tun haben, mit Fachkenntnis oder politischem Gewicht wohl eher nicht. Zumindest in Hamburg also ist von Aufbruch bei Personal wie Inhalt wenig zu sehen – eine dankbar angenommene Vorlage für die erstarkte CDU-Opposition in der Bürgerschaft.
PAH