Gruene Gaerungsprozesse

Grüne Gärungsprozesse

Von: Peter Axel Haas

Hamburg, Juni 2023. Es gärt bei den Grünen, vor allem in Bremen: Fast ein Drittel der Grünen-Wähler des Jahres 2019 wandten sich dort am vergangenen 14. Mai von der Öko-Partei ab. Von über 17 auf unter zwölf Prozent schnurrte das Ergebnis zusammen. Gleich beide Spitzenfrauen des eher linksorientierten Landesverbands traten zurück.


Neue bremische Spitzengrüne sehen sich jetzt in Koalitionsverhandlungen einem höchst selbstbewußten SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte gegenüber, dessen Popularität die Weser-Sozialdemokraten wieder in die Nähe von 30 Prozent geführt hat – wenig gegen die absoluten Mehrheiten früherer Jahrzehnte, aber angesichts eines Plus von gut sechs Prozent ein gefühlter Sieg.


Verkehrs- und Wirtschaftspolitik sowie die innere Sicherheit in Bremen würden jetzt verstärkt durch einen pragmatisch-bürgerlicheren Kurs geprägt, wie ihn die SPD auch in Hannover unter Ministerpräsident Stephan Weil pflegt, vermuten Beobachter. Ob das mit gestressten Grünen und bestätigten Linken gut geht, wird sich wohl erst im Laufe der nächsten Monate zeigen. Und die halten für die Grünen wohl keine Trendumkehr parat: Zur hessischen Landtagswahl am 8. Oktober wird ihnen bestenfalls eine Wiederholung des knappen 20 Prozent-Ergebnisses von vor fünf Jahren vorhergesagt. Ob der betont konservative CDU-Ministerpräsident Boris Rhein dann erneut mit ihnen koalieren will, muss sich erst noch zeigen. In Bayern, wo am gleichen Oktobersonntag gewählt wird, sieht alles nach einer Bestätigung der Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern aus. Machtpolitisch werden die Grünen in München also keine Rolle spielen, ob Ihnen die Wiederholung ihres guten Wahlergebnisses vom letzten Mal gelingt, ist höchst fraglich.


Mit Sorge blicken daher auch die norddeutschen Grünen nach Berlin: Wenn Klima- und Wirtschafts-minister Robert Habeck nicht bald sein Heizungsgesetz durchsetzt und die Vetternwirtschaft in seinem Haus abstellt, dürfte der Niedergang in Umfragen wie Wahlergebnissen weitergehen. Besonders Hamburgs Grüne bangen mit Blick auf die Bezirks- und Europawahlen im Mai oder Juni 2024 um ihre Einflusssphären: Mit stadtweit 31 Prozent und ersten Plätzen in vier von sieben Hamburger Bezirken übertrumpften sie die SPD deutlich, die nur noch 24 Prozent erreichte. Seitdem jedoch hat die Performance der Partei in den Stadtteil-Parlamenten arg gelitten: In Harburg zerlegte sich die Fraktion nach heftigem internem Streit, in Wandsbek und Eimsbüttel ließen die Ökos Koalitionen mit CDU oder SPD platzen, in Eimsbüttel verloren sie den Posten des Bezirksamtsleiters.   


Und auch im Hamburger Rathaus sind sich Grüne und SPD keineswegs mehr so „grün“, wie öffentlich vorgegeben: Das Verhältnis zwischen SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher und dem streitlistigen grünen Umweltsenator Jens Kerstan gilt nach mehreren harten Auseinandersetzungen um den Hafen als zerrüttet. SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf kann überhaupt nicht mit seinen grünen Counterparts Jenny Jasberg und Dominik Lorenzen, vor allem seit dem Konflikt um deren vormalige wissenschaftspolitische Sprecherin Miriam Block. Die stimmte mit den Linken und gegen ihre eigene Fraktion sowie die SPD für einen Untersuchungsausschuss in Sachen NSU-Morde, einige der 33 grünen Bürgerschaftsfraktion blieben der Abstimmung fern. Kienscherf rügte das öffentlich als Verstoß gegen die Koalitionsdisziplin, die Abgeordnete Block wurde mit dem Verlust ihrer Sprecherposition bestraft, erhielt aber viel Beifall von der Grünen Jugend und fast einem Drittel ihrer Fraktionskollegen.


Dahinter steckt ein in allen Ländern wiedererstarkter Konflikt innerhalb der Grünen, der sich nicht nur an Symbolfragen wie einem kaum erfolgversprechenden Untersuchungsausschuss zu zwanzig Jahre zurückliegenden Morden entzündet: Der zwischen pragmatischen Realos und ideologisch getriebenen Fundis – Flügel, von denen manche glaubten, sie seien seit Jahren ausgestorben.


Autos möglichst gleich ganz aus Innenstädten vertreiben, weil angeblich nur so das Klima gerettet wird, oder nur ein paar Parkplätze vernichten? Gendern mit Sternchen, Schrägstrichen und allen weiteren Beschädigungen der deutschen Sprache, weil das angeblich wertschätzend wirkt, oder lieber mit der großen Mehrheit der Bevölkerung beim bewährten Sprachgebrauch bleiben? Den Bau neuer Einfamilienhäuser verbieten wie im grün geführten Hamburger Bezirk Nord, weil auch das angeblich dem Klima helfe, oder jungen Familien doch eher den Traum vom eigenen Heim lassen?


Während die Hardliner auch unter dem Druck von Klimaklebern und Fridays for Future die Gesellschaft grundlegend umerziehen wollen, fürchten die Realos das Image der Verbotspartei, mit dem schon die Grünen schon Bundestagswahlen verloren haben. Alles spricht dafür, dass es weiter gären wird bei den Grünen. 

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