Industrie Tests

Pflichttests in Unternehmen

Bundeskabinett beschließt modifizierten Arbeitsschutzverordnung

Was seit Wochen Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände befürchtet hatten ist heute vom Bundeskabinett beschlossen worden: Die Corona-Testpflicht für Unternehmen. Künftig sind sie dazu verpflichtet, Beschäftigte einmal pro Woche Corona-Tests anzubieten. Dort wo Mitarbeiter nicht im Homeoffice arbeiten können, sollen Corona-Tests zur Pflicht werden. Damit wird auch die "Homeoffice-Pflicht" weiter verlängert. Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern, wenn möglich, die Arbeit im Homeoffice zu gestatten. Gewarnt hatten zahlreiche Arbeitgeberverbände vor zu hohen Kosten und einem zu großem Bürokratieaufwand. Gleichzeitig verwiesen sie auf die hervorragend funktionierenden Eigenanstrengungen der Wirtschaft zu Corona-Tests.

Nach einer aktuellen Umfrage der Arbeitgeberverbände NORDMETALL und AGV NORD bei mehr als 200 Unternehmen bieten schon jetzt 69 Prozent der Hamburger Betriebe ihren Beschäftigten freiwillig kostenlose Corona-Selbsttests an, dabei sind solche Tests durch nicht-medizinisches Personal erst seit dem 26. März erlaubt.


Insgesamt wollen 92 Prozent der Unternehmen ihren Beschäftigten kostenlose Tests anbieten, sobald diese gut verfügbar sind. Teilgenommen an der Umfrage haben in Hamburg unter anderem die Firmen STILL, Philips, Montblanc, Nexperia Gemany und Wärtsilä SAM Electronics. „Die Zahlen sind klar und eindeutig: Die allermeisten Arbeitgeber bieten ihren Beschäftigten längst Corona-Tests an oder planen dies, sobald genügend Tests erhältlich sind. Es braucht also keinerlei gesetzlichen Zwang hierzu“, bilanziert Dr. Nico Fickinger, Hauptgeschäftsführer von NORDMETALL und AGV NORD. Im Übrigen habe jeder Bürger bereits Anspruch auf einen kostenlosen staatlichen Test pro Woche. „Wenn die Politik die Unternehmen zum Aufbau teurer Parallelstrukturen zwingen und zusätzlich in die Test-Pflicht nehmen will, sollte sie zunächst sicherstellen, dass überhaupt ausreichend viele Tests verfügbar sind, und die Firmen zudem von den administrativen und finanziellen Kosten entlasten“ fordert Fickinger.


Die 208 an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen aus fünf norddeutschen Bundesländern haben bereits mehr als eine Million Corona-Tests für ihre 122.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gekauft, bestellt oder in Auftrag gegeben, rechnerisch sind das rund 8 Tests pro Person. Alleine die dafür nötigen Test-Kits verursachen bei den Unternehmen Kosten von mehr als sechs Millionen Euro, die Gesamtkosten inkl. Arbeitsausfall belasten die Unternehmen mit insgesamt 16 Millionen Euro. Geht man von zwei Testungen pro Beschäftigten und Woche aus, entstehen diese Kosten sogar annähernd jeden Monat. „Angesichts solcher Summen fordern viele unserer Mitgliedsunternehmen eine Kostenübernahme durch den Staat“, berichtet Fickinger. „Es ist doch absurd, dass die Politik Milliarden zur Beseitigung der Folgeschäden von Corona bereitstellt, aber nicht jene Firmen unterstützt, die durch präventive Tests Infektionsketten zu stoppen versuchen, bevor sie überhaupt entstehen können. Das ist Sparen an der falschen Stelle.“

Zum Einsatz durch die Unternehmen kommen in Hamburg bisher überwiegend Tests, die die Mitarbeiter selbst durchführen. 82 Prozent der Tests sind solche Selbsttests in Eigenverantwortung, ein Drittel (35 Prozent) sind Schnelltests durch geschultes Personal, 12 Prozent sind PCR-Tests mit Laborauswertung; manche Betriebe bieten auch mehrere Testarten an. Der ganz überwiegende Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darf diese Tests ganz (59 Prozent) oder teilweise (26 Prozent) während der Arbeitszeit durchführen, die Kosten durch die in dieser Zeit entfallende Arbeitsleistung tragen die Unternehmen. Als größte Probleme nennen die Hamburger Betriebe neben der mangelnden Verfügbarkeit von Tests und den hohen Kosten insbesondere Zeit- und Organisationsprobleme (37 Prozent), fehlendes geschultes Personal für Schnelltests oder PCR-Tests (31 Prozent) und die Anforderungen an Dokumentation und Datenschutz.

 

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen stehen hier vor enormen Herausforderungen, berichtet Julian Bonato, Vorstandsvorsitzender des tariffreien Verbandes AGV NORD. In einem Drittel der Betriebe willigten zudem die Mitarbeiter nicht in einen Corona-Test ein. „Die Firmen zu Test-Angeboten zwingen zu wollen, welche die Mitarbeiter aber nicht annehmen müssen, ist hanebüchen“, rügt Bonato. „Die Arbeitgeber sind gerne bereit, die Gesellschaft bei der Bekämpfung der Pandemie intensiv zu unterstützen. Wichtig wäre dafür aber neben der staatlichen Kostenübernahme, dass die Ministerien und Behörden den Unternehmen durch einfache, unbürokratische und klare Regeln für die Durchführung der Tests helfen. Stattdessen erleben wir mangelhafte Planung und alarmistische Vorgaben statt vorausschauenden Denkens. Es liegt nicht an der Wirtschaft, wenn es nicht geht“, resümiert Bonato, der Geschäftsführer der MHG Heiztechnik in Buchholz ist. Eine mögliche gesetzliche Verpflichtung für Betriebe, ihren Beschäftigten zwei Corona-Tests pro Woche anbieten zu müssen, lehnen die Hamburger Arbeitgeber klar ab. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) halten dies für schlecht oder nicht umsetzbar, für ein gutes Drittel (39 Prozent) wäre dies notfalls „akzeptabel“ und nur sechs Prozent halten ein Pflicht-Test-Angebot für gut.

 

Das hohe Engagement der Firmen und die Fürsorge für ihre Mitarbeiter zeigen sich nicht nur bei den Tests, sondern auch mit Blick auf spätere Impfungen. So wollen 55 Prozent der befragten Hamburger Unternehmen ihren Beschäftigten betriebliche Corona-Impfungen anbieten, weitere 27 Prozent überlegen dies zu tun – Verfügbarkeit der Impfungen vorausgesetzt. Fickinger: „Selbst an dieser originären Aufgabe der Krankenkassen würden sich die Arbeitgeber in großem Umfang beteiligen, auch um das Gesundheitssystem bei der Eindämmung der Pandemie zu unterstützen. Es muss dann aber auch selbstverständlich sein, dass die Krankenkassen die Kosten dafür übernehmen, schließlich macht es keinen Unterschied, wo jemand geimpft wird - Hauptsache, es wird endlich geimpft!“


Kritik kommt auch von UVNord-Präsident Uli Wachholtz: „Der heutigen Kabinettsbeschluss konterkariert alle starken und freiwilligen Bemühungen der Unternehmen der letzten Wochen. In der norddeutschen Wirtschaft herrscht große Enttäuschung, auch über die schon fast gewohnt nicht bis zu Ende gedachten neuen Vorschriften. Völlig ungeklärt bleibt, wie Arbeitgeber gegenüber Beschäftigten das Testangebot durchsetzen können. Die beschlossene gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber wird zu einer weiteren Bürokratielast und ist darüber hinaus für viele unter der Pandemie leidenden Betriebe eine große finanzielle Herausforderung. Dass hier erneut versucht wird, politische Versäumnisse auf dem Rücken der Arbeitsplätze abzuladen, ist wohl auch dem Wahlkampf geschuldet. Offenbar wurde die Wirtschaft mindestens zwei Wochen lang von der Politik vorgeführt!“


Auch Björn Ipsen, Hauptgeschäftsführer der IHK Schleswig-Holstein  zeigt sich enttäuscht: „Unseren Unternehmen liegt die Gesundheit ihrer Beschäftigten sehr am Herzen – nicht zuletzt im Eigeninteresse, den Betrieb am Laufen zu halten. Daher haben alle Branchen anspruchsvolle Hygienekonzepte entwickelt und in wenigen Wochen ein umfangreiches Angebot von Corona-Tests aufgebaut. Gleichzeitig zeigen Studien wie die des Robert Koch-Instituts, dass die häufigsten Infektionsquellen ungeschützte Kontakte sind und überwiegend im privaten Umfeld auftreten. 
Der Beschluss für eine Testpflicht trifft daher vor allem diejenigen, die sich ohnehin ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen. Leider stellt die Pflicht auch das politische Misstrauen in das unternehmerische Verantwortungsbewusstsein unter Beweis." 


Die Wirtschaftskammern des Landes in Neubrandenburg, Rostock und Schwerin sowie die beiden Handwerkskammern in Rostock und Schwerin äußern ebenfalls ihr Unverständnis gegenüber der heute im Bundeskabinett verabschiedeten modifizierten Arbeitsschutzverordnung. Matthias Belke, geschäftsführender Präsident der Industrie- und Handelskammern in Mecklenburg-Vorpommern: „Wer die Testpflicht in den Unternehmen verordnet, der muss auch bereit sein, dafür die Kosten zu tragen. Die im Vorfeld der Beschlussfassung von einzelnen Bundespolitikern geäußerte Unterstellung, wonach sich die Wirtschaft bislang kaum an den Kosten für die Pandemiebekämpfung beteiligt hätte, ist ein Schlag ins Gesicht all der Unternehmen, die gerade massiv unter Schließungen oder Beschränkungen leiden. Alle Unternehmen haben in den vergangenen dreizehn Monaten große Anstrengungen unternommen, ihre Beschäftigten und Kunden durch umfassende Hygienekonzepte, Homeoffice-Lösungen, Maskenpflicht und Abstandsgebote zu schützen, und tragen damit wesentlich zur Eindämmung der Pandemie bei. Auch die Einführung flexibler Arbeitszeitregelungen oder Lösungen für die Kinderbetreuung sind durch die Wirtschaft erfolgt. Diese Maßnahmen zeigen das hohe Verantwortungsbewusstsein unserer Unternehmen und sind natürlich auch immer mit Kosten verbunden. Zudem haben innerhalb von kürzester Zeit weit über die Hälfte der Betriebe freiwillig ihren Beschäftigten Tests angeboten. Es ist daher enttäuschend, dass die Bundesregierung nicht weiter auf dieses freiwillige Engagement setzt.“


Der Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern in Mecklenburg-Vorpommern, Axel Hochschild, weist in diesem Zusammenhang darauf hin: „Der Versuch, die Verantwortung und die Kosten der Pandemiebekämpfung jetzt durch den Bund auf die Wirtschaft zu verlagern, ist ein falsches Signal. Die Beschaffung von ausreichenden

Mengen an Impfstoffen, Masken und Tests sollte im Mittelpunkt der Anstrengungen des Bundes stehen. Vor allem aber brauchen die Unternehmen echte Perspektiven. Wir fordern deshalb konsequente Maßnahmen und geeignete Konzepte, die den Menschen wieder Mut und Unternehmen Planungssicherheit vermitteln.“

Red.NW



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