Deutschland fehlen die Gründer – Mittelstand und Innovationskraft in Gefahr

Die Zahl der Neugründungen sinkt auf ein historisches Tief. Bürokratie, Fachkräftemangel und Konjunktursorgen bremsen Unternehmertum aus – mit dramatischen Folgen für den Mittelstand und die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland

Neuss/Hamburg, 4. September 2025. Deutschland lebt von seinem Mittelstand – und der lebt von Gründern. Doch die Zahl der Neugründungen bricht dramatisch ein. Nach Berechnungen des ZEW Mannheim und der Creditreform Wirtschaftsforschung wurden 2024 nur noch rund 161.000 neue Unternehmen gegründet – so wenige wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zum Vergleich: In den 2000er-Jahren waren es über 200.000 jährlich.


„Wirtschaftskrise und Bürokratie bremsen das Gründungsgeschehen massiv“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Sprecher des Verbandes der Vereine Creditreform. Hohe Energiekosten, Fachkräftemangel und wachsender Verwaltungsaufwand lähmen junge Unternehmen, geopolitische Unsicherheiten verstärken den Trend

Mittelstand unter Druck – Innovationskraft schwindet


Besonders schwer getroffen ist die Industrie. Im Verarbeitenden Gewerbe wurden 2024 nur noch rund 5.000 Unternehmen gegründet – 38 Prozent weniger als 2016. Im forschungsintensiven Teil der Industrie ging die Zahl der Neugründungen im Jahresvergleich sogar um 20,8 Prozent zurück.


„Die Industrie und ihr Innovationspotenzial sind die großen Verlierer des Reformstaus in Deutschland“, warnt Hantzsch. Der Rückgang sei nicht nur ein branchenspezifisches Problem, sondern ein gesamtwirtschaftliches: Weniger Gründungen bedeuten weniger Investitionen, weniger Arbeitsplätze – und vor allem weniger Innovation.


Auch ZEW-Ökonomin Dr. Sandra Gottschalk sieht Gefahr für den Standort: „Der Rückgang bei forschungsintensiven Industriegründungen könnte dazu führen, dass künftig weniger innovative Produkte auf den Markt kommen. Das schwächt schon heute die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.“


Bau und Digitalwirtschaft ebenfalls betroffen


Das Baugewerbe kämpft mit steigenden Zinsen und Kosten. Die Zahl der Neugründungen fiel 2024 bundesweit auf 14.700, ein Minus von fast 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr
.Auch die Digitalwirtschaft, einst Hoffnungsträger durch Künstliche Intelligenz und Software-Innovationen, gerät ins Straucheln. Nach Jahren des Wachstums sank die Zahl der Start-ups – allein in der Softwarebranche zuletzt um 20 Prozent.


Ohne Gründer kein Mittelstand, ohne Mittelstand kein Wachstum


Die Folgen reichen weit über die Statistik hinaus. Neugründungen sind nicht nur Treiber von Innovation, sie sind auch das Sicherungsnetz für den Mittelstand. Wenn Unternehmen in die Jahre kommen, braucht es junge, agile Nachfolger mit frischen Ideen. Bleiben diese aus, veraltet die industrielle Basis, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt – und Deutschlands wichtigste Stärke im internationalen Vergleich droht zu erodieren.


Forderung: Weniger Gießkanne, mehr Zielgenauigkeit


Um die Entwicklung zu stoppen, fordern ZEW und Creditreform
gezielte Förderung innovativer Gründungen. „Breite Förderung nach dem Gießkannenprinzip ist wenig zielführend“, so Hantzsch. Besser seien steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung sowie klare Schwerpunkte auf Unternehmen mit echtem Wachstumspotenzial. Denn eines ist klar: Ohne Gründer verliert Deutschland nicht nur Arbeitsplätze – es verliert seine Zukunft.




Norddeutschland: gemischtes Bild

In Norddeutschland zeigt sich ein gemischtes Bild: Hamburg*) meldete 2024 mit 5.917 Betriebsgründungen einen neuen Rekordwert seit Beginn der Erhebung – ein Plus von 4,5 Prozent. In Schleswig-Holstein*) stieg die Zahl der Betriebsgründungen auf 3.866 (+7 Prozent), allerdings nahmen auch die Aufgaben deutlich zu. Niedersachsen*) hielt mit 65.922 Gewerbeanmeldungen sein Niveau, darunter 54.714 Neugründungen – bei 43.034 Geschäftsaufgaben ein klar positives Saldo. In Bremen**) blieb die Zahl der Gewerbeanmeldungen stabil; für 2024 verzeichnete das Land monatlich rund 500 bis 600 neue Anmeldungen. Mecklenburg-Vorpommern***) hingegen fällt aus dem Muster: Dort überwogen 2024 erstmals die Betriebsaufgaben gegenüber den Gründungen – ein Warnsignal für die ohnehin strukturschwache Region. Während Hamburg also boomt, zeigt sich in Schleswig-Holstein und Niedersachsen eher Stabilität – allerdings auf niedrigem Niveau.

*) Statistik Nord

**) Statistikportal

***) GründerMV