Schifffahrt in Nordsee und Ostsee ist nur dank regelmäßiger Vermessung sicher

BSH: Schifffahrt in Nordsee und Ostsee ist nur dank regelmäßiger Vermessung sicher

Copernicus und Argo: Unverzichtbar für die Meeresforschung und Erkenntnisgewinnung zum Klimawandel

Hamburg, 12. März 2024  Auf ihrer Jahrespressekonferenz 2024 hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) heute über sicherheitsrelevante Themen informiert und die Bedeutung der Forschung vor dem Hintergrund mariner Extremereignisse betont. In einer Pressemitteilung heißt es:


Der Meeresspiegelanstieg, Sturmfluten, Unterwasserschall und die Begleitung der Schifffahrt auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und autonomer Schifffahrt spielen für die Arbeit im BSH eine große Rolle. Für den Offshore-Windenergieausbau wird der Flächenentwicklungsplan wegen der Ausbauziele der Bundesregierung fortgeschrieben und ein Paradigmenwechsel in der nautischen Navigation wird vorbereitet.

In der Saison 2023/2024 hat das BSH bereits 16 Sturmfluten an der Nordsee verzeichnet, davon zwei schwere mit mindestens +2,5 Meter über dem mittleren Hochwasser. Durchschnittlich gibt es an der Nordseeküste 4 bis 6 Sturmfluten pro Jahr – je nach Standort. Die aktuelle Saison ähnelt daher der stürmischen Saison 2021/2022. Die sehr schwere Ostsee-Sturmflut vom 19. bis 21. Oktober 2023 sorgte für die höchsten Wasserstände seit 1872. In Flensburg stieg das Wasser bis zu +2,27 Meter über den mittleren Wasserstand. Auch die Dauer der Sturmflut war außergewöhnlich. In Flensburg lagen die Wasserstände 54 Stunden lang mehr als +1,00 Meter über dem mittleren Wasserstand.


1924 wurde der Sturmflutwarndienst der Nordsee  offiziell eingerichtet und feiert im September dieses Jahrs sein 100-jähriges Jubiläum.


Klimawandel könnte sich zukünftig auf Sturmfluten auswirken


Langzeitbeobachtungen zeigen bisher keine signifikanten Änderungen hinsichtlich der Häufigkeit und Stärke von Sturmfluten. Der Meeresspiegelanstieg erhöht allerdings das Ausgangsniveau der Wasserstände, auf das eine Sturmflut aufsetzt. Neben dem aktuellen Wasserstand bestimmen Windstärke und Windrichtung, ob eine Sturmflut eintritt. Nur im Zusammenspiel aller Faktoren entsteht also eine Sturmflut. Laut einer BSH-Studie vermehren sich gegen Ende des Jahrhunderts – bei ausbleibenden Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels – die Wetterlagen, bei denen heute Sturmfluten an der Nordseeküste auftreten.


Sturmtief brachte salzreiches Nordseewasser in Ostsee


Die Ostsee leidet seit Jahren unter Sauerstoffmangel, besonders in den tiefen Becken. Sturmtief „Zoltan“ verursachte im Dezember 2023 schwere Sturmfluten an der Nordseeküste. In der Folge zeichneten Messstationen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und des BSH den Einbruch großer Mengen von salzreichem, kälterem und sauerstoffreichem Wasser in die Ostsee auf. Es handelt sich um 200 Kubikkilometer Nordseewasser, mit etwa 1,6 Gigatonnen Salz, das sich nun in der Ostsee verteilt. Es könnte Regionen erreichen, die nur selten belüftet werden. BSH und IOW untersuchen nun, ob dadurch regional der Sauerstoffmangel reduziert wird.


Wärmerekord in der Nordsee


Für die Nordsee war 2023 das drittwärmste Jahr (nach 2014 und 2022) seit Beginn der BSH-Analysen im Jahr 1969. Der September 2023 war der wärmste September seit Beginn der Beobachtungen am BSH. Für die Ostsee war 2023 in Hinblick auf die Oberflächentemperaturen insgesamt weniger extrem als für die Nordsee, vor allem wegen vergleichsweise kühlerer nördlicherer Bereiche. In der deutschen AWZ der Ostsee war 2023 ebenfalls das dritt- bis viertwärmste Jahr seit Beginn dieser Datenreihe 1990, auch hier besonders im Herbst. In Nordsee und Ostsee war es bereits das 11. Jahr in Folge, das wärmer war als das langjährige Mittel von 1991 bis 2020.


Copernicus und Argo: Unverzichtbar für die Meeresforschung und Erkenntnisgewinnung zum Klimawandel


Das europäische Copernicus-Programm stellt aus Satellitendaten extrahierte Informationen über den physikalischen und biologischen Zustand der Meere und Klimaüberwachungsdaten der Vergangenheit zur Verfügung. Das BSH beteiligt sich daran, indem es Messdaten und operationelle Vorhersagen für Nordsee und Ostsee bereitstellt. Am BSH ist auch die nationale Fachkoordination für den Copernicus-Dienst zur Überwachung der Meeresumwelt angesiedelt. Copernicus soll künftig mehr Informationen zu klimarelevanten Fragestellungen liefern: Unter anderem umfassende Simulationen, in denen Auswirkungen auf die Biodiversität und das Meer als Lebensmittelquelle gezeigt werden. Dies wird im EU-Projekt Neccton mit BSH-Beteiligung erarbeitet.


Im internationalen Ozeanbeobachtungsprogramm Argo werden autonome Treibkörper (Floats) eingesetzt, um kontinuierliche Messungen zu generieren und beispielsweise Analysen zur Erwärmung und zum Meeresspiegelanstieg durchzuführen. Am BSH wird der deutsche Beitrag zum globalen Argo-Messsystem koordiniert. Pro Jahr steuert das BSH etwa 50 Geräte bei und kümmert sich auch um die Daten-Qualitätskontrolle. Erst durch Argo sind genauere Aussagen zum Klimawandel im Ozean möglich geworden. Seit 2023 setzt das BSH auch Geräte ein, die Messungen zur CO2-Aufnahme des Ozeans und zu Sauerstoffmangelzonen durchführen und damit den Nutzen des Messsystems erweitern.

Offshore-Windenergie: Fortgeschriebener Flächenentwicklungsplan wird mindestens Festlegungen bis 2037 umfassen


Im September 2023 hat das BSH den Vorentwurf zum nächsten Flächenentwicklungsplan (FEP) veröffentlicht. Der aktuelle FEP enthält das Ausbauziel von 30 GW bis 2030. In der Fortschreibung werden Flächen nach Möglichkeit bis zu 70 GW bis 2045 identifiziert, mindestens aber Festlegungen für Inbetriebnahmen von Offshore-Windparks und Netzanbindungssystemen bis 2037.


In der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee und Ostsee und im Küstenmeer sind zurzeit 1.564 Windenergieanlagen installiert mit einer Leistung von ca. 8,4 GW. Im Bau bzw. kurz vor Baubeginn sind 4 weitere Windparks mit einer Leistung von 2,54 GW.


Autonome Schifffahrt braucht behördliche Expertise


Das BSH unterstützt die Schifffahrt bei dem Trend zu Autonomem Fahren mit staatlicher Expertise. Um Wissen über neue Systeme aufzubauen, begleitet das BSH den Innovationsprozess maritimer Navigations- und Kommunikationstechnologien, speziell mit Künstlicher Intelligenz: zum Beispiel begleitete es mit B ZERO ein Projekt zur zeitweilig wachfreien Brücke. So gewonnene Einblicke helfen den BSH-Beschäftigten, das internationale Regelwerk weiterzuentwickeln und Ministerien und die Schifffahrtsbranche zu beraten.


Die Schifffahrt leidet unter Fachkräftemangel. Neue Technologien können dazu beitragen, neue, attraktive Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Mehr Automatisierung hilft, menschliches Fehlverhalten zu reduzieren und so das Unfallrisiko zu senken. Automatisierung kann zudem zu energieeffizienterem Fahren beitragen, wodurch weniger Schadstoffe ausgestoßen werden und so der Umweltschutz verbessert wird.


Schifffahrt in Nordsee und Ostsee ist nur dank regelmäßiger Vermessung sicher


Die Vermessung der sich ständig verändernden Tiefenverhältnisse mit den 5 BSH-Schiffen ist die Voraussetzung für jegliche Nutzung der deutschen Seegebiete der Nordsee und Ostsee. Ohne genaue Tiefenangaben in den Seekarten wäre in den flachen Seegewässern der  deutschen Küste keine Schifffahrt möglich. Auch in akuten Gefahrensituationen sind die BSH-Schiffe im Einsatz: Sie halfen 2023 etwa auch nach der Havarie der Schiffe Verity und Polesie. Die 30 und 34 Jahre alten BSH-Schiffe WEGA und DENEB müssen ersetzt werden. Derzeit läuft das Interessenbekundungsverfahren für die Ersatzbauten. Dabei werden höchste Umweltstandards angestrebt. Außerdem sind die Ersatzbauten wichtige Voraussetzung für die Erreichung der Klimaziele mit der BSH-Flotte.


Paradigmenwechsel in der nautischen Navigation: 2026 beginnt die Einführung der dynamischen Seekarte


Gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten der Internationalen Hydrographischen Organisation entwickelt das BSH bis 2026 eine dynamische Seekarte. Durch Daten zu Strömung und Wasserstand in Nahe-Echtzeit können Routen optimiert werden. Je besser der Abstand vom Kiel zum Meeresboden, desto effizienter fährt ein Schiff. Nordsee und Ostsee werden durch Treibstoffeinsparungen der Schiffe profitieren. Optimierte tideabhängige Navigation durch aktuelle Tiefenangaben wird ermöglicht. Der Beitrag zum Schutz der Meeresumwelt wird durch Informationen zu Meeresschutzgebieten und Umweltinformationen erhöht. Der Raum zum Navigieren wird deutlich erweitert.


Genauere Tiefenangaben für Ostsee und Nordsee ermöglichen mehr Sicherheit und Effizienz im Seeverkehr


2023 hat die Internationale Hydrographische Organisation ein einheitliches Seekartennull für die Ostsee eingeführt. Das neue Seekartennull der Ostsee ist nunmehr an den amtlichen deutschen Höhenbezug an Land angepasst. Das erleichtert viele Anwendungen, zum Beispiel im Küstenschutz. Ein einheitliches Seekartennull ist auch Voraussetzung für 3D-Satellitennavigation und ebnet den Weg für eine zunehmend automatisierte Schifffahrt. Auch in der Nordsee soll der Höhenbezug wesentlich genauer werden.

Quelle: BSH


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