Zwischen Krisenmodus und vorsichtiger Zuversicht: Norddeutsche Industrie ringt um Aufbruch
Frühjahrskonjunkturumfrage 2025 zeigt anhaltende Krisenstimmung – leichte Besserung bei Aufträgen, aber große Sorgen um Fachkräfte, Bürokratie und internationale Unsicherheiten
Hamburg, 7. Juli 2025. Drittes Krisenjahr, kein klarer Kurswechsel: Die norddeutsche Industrie bleibt 2025 wirtschaftlich unter Druck. Das zeigt die Frühjahrskonjunkturumfrage der norddeutschen NORDMETALL, AGV NORD und den Arbeitgeberverbänden eindrücklich. Zwar sind die ganz düsteren Szenarien vielerorts ausgeblieben – doch der erhoffte wirtschaftliche Umschwung lässt weiterhin auf sich warten. Stattdessen dominieren Stagnation, Personalengpässe und große Skepsis gegenüber politischen Rahmenbedingungen.
Mehr als 200 Industrieunternehmen mit über 100.000 Beschäftigten aus Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und dem nordwestlichen Niedersachsen haben sich an der Befragung beteiligt. Die regionale Lage ist unterschiedlich – aber die Kernthemen gleichen sich: Fachkräftemangel, stockende Aufträge und die Frage, ob und wann politische Maßnahmen endlich Wirkung zeigen.
In Hamburg etwa herrscht leicht wachsender Optimismus – doch rund ein Drittel der Unternehmen bewertet die Lage weiter als kritisch. In Bremen ist die Stimmung besonders gedrückt: Fast die Hälfte der Betriebe dort erwartet eine weitere Verschlechterung. Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich im Ist-Zustand vergleichsweise stabil, leidet jedoch besonders unter fehlenden Fachkräften. Und im nordwestlichen Niedersachsen ist die Unsicherheit hoch – insbesondere, was den weiteren wirtschaftspolitischen Kurs betrifft.
Quer durch die Regionen zieht sich ein zentrales Motiv: Die Unternehmen warten auf echte Signale für Entlastung und Erneuerung. Dazu gehören vor allem der Abbau überbordender Bürokratie, steuerliche Erleichterungen und eine kraftvolle Fachkräftepolitik. Hoffnung gibt es – aber sie bleibt bislang vage.
Was es braucht, ist eine neue Aufbruchsstimmung. Noch ist sie nicht spürbar – doch die Richtung ist klar: Ohne konkrete politische Impulse wird sich die Industrie in Norddeutschland kaum aus der Warteschleife befreien können.
„Die Frühjahrskonjunkturumfrage 2025 der norddeutschen Arbeitgeberverbände belegt für Hamburg nach wie vor die kritische Lage vieler Unternehmen im dritten Krisenjahr. Die Hoffnung auf ein Ende der Rezession ist schwach, besonders was die nationalen und internationalen politischen Rahmenbedingungen angeht“, resümiert die Mitte Juni neugewählte NORDMETALL-Vizepräsidentin für Hamburg, Sonja Neubert.
Jeder dritte Betrieb unzufrieden mit der Geschäftslage
Immer noch beurteilt jeder dritte Betrieb im Norden die Geschäftslage als schlecht oder unbefriedigend (Hamburg: 35 Prozent), der Anteil der Zufriedeneren ist gegenüber dem vergangenen Herbst gerade mal um sieben Prozent gestiegen. Nur im Luft- und Raumfahrzeugbau bewerten fast zwei Drittel der Firmen die Lage mit „gut“. Am Negativende der Skala rangieren die Metallerzeuger und Gießereien (58 Prozent „unbefriedigend“ oder „schlecht“), gefolgt vom Straßenfahrzeugbau mit 57 Prozent.
Gedämpfte Erwartungen für das zweite Halbjahr
Beim Ausblick auf die kommenden sechs Monate erwarten 57 Prozent der Firmen in Norddeutschland Stagnation, nur 21 Prozent eine Verbesserung, 22 Prozent sogar eine Verschlechterung. Am optimistischsten geben sich die Hamburger Unternehmen mit 26 Prozent Verbesserungserwartung.
Luft- und Raumfahrt als einzige Branche mit soliden Auftragsbeständen
Die Auftragsbestände im Norden werden nur im Luft- und Raumfahrzeugbau mit 91 Prozent als hoch oder ausreichend eingeordnet. In allen anderen Branchen beklagen zwischen 31 Prozent (Elektrotechnik) und 50 Prozent (Straßenfahrzeugbau) das Ausbleiben von Bestellungen.
Personalplanung bleibt zurückhaltend
Den Personalbestand erhöhen wollen in den kommenden drei Monaten 24 Prozent der Hamburger Industriebetriebe, 57 Prozent planen keine Veränderungen, 19 Prozent wollen Personal abbauen – Werte, die praktisch mit denen des vergangenen Herbstes übereinstimmen. Insgesamt ergibt sich in der gesamten norddeutschen Industrie ein Einstellungsbedarf von gerade mal 150 Beschäftigten.
Fachkräftemangel bleibt zentrales Problem
Eine schlechte oder unbefriedigende Verfügbarkeit von Fachkräften melden immer noch 58 Prozent der Unternehmen im Norden – geringfügig weniger als im vergangenen Herbst. In Mecklenburg-Vorpommern wird die Fachkräftelage sogar von 68 Prozent negativ eingeschätzt, gefolgt von Hamburg mit 64 Prozent. Bei den Auszubildenden sehen immerhin 50 Prozent der norddeutschen Betriebe eine gute oder zufriedenstellende Verfügbarkeit geeigneter Bewerberinnen und Bewerber – sechs Prozent mehr als Ende 2024.
Leichter Stimmungsumschwung beim Blick auf den Standort Deutschland
Ein kleiner Lichtblick: Glaubten seit Jahren rund zwei Drittel der norddeutschen Industrieunternehmen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland an Attraktivität verliert, sind es jetzt nur noch 49 Prozent. Doch plant noch immer jeder fünfte Betrieb (21 statt zuvor 22 Prozent) Produktionsverlagerungen ins Ausland.
Hauptbelastungen: Arbeitskosten, Bürokratie und internationale Politik
Als besonders erschwerende Wirtschaftsfaktoren werden mit konstanten 84 Prozent die Arbeitskosten gewertet, gefolgt von der Bürokratie in Deutschland (67 Prozent), der internationalen Politik (64 Prozent; stark gestiegen) und den Energiekosten (55 Prozent; etwas gesunken).
Verhaltene Erwartungen an staatliche Investitionsprogramme
Die Erwartungen der norddeutschen Unternehmen an bessere politische Rahmenbedingungen sind nach wie vor verhalten: 48 Prozent erwarten keine Vorteile trotz des 500-Milliarden-Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaneutralität (Hamburg: 33 Prozent), 44 Prozent geringe Aufträge (Hamburg: 56 Prozent), acht Prozent deutlich mehr Bestellungen (Hamburg: elf Prozent). Die Hoffnungen auf stärkere Auftragseingänge aufgrund der ausgeweiteten Verteidigungsausgaben des Bundes sind noch geringer: 59 Prozent der Firmen erwarten keinen Profit, in Mecklenburg-Vorpommern sogar 68 Prozent, im nordwestlichen Niedersachsen 62 Prozent. Starke Befürchtungen angesichts der drohenden Zollerhöhungen durch die USA hegen nur 16 Prozent der Unternehmen – in Bremen mit einem Drittel allerdings überdurchschnittlich viele.
Fazit: Unternehmen warten auf konkrete Signale der Politik
NORDMETALL-Vizepräsidentin Sonja Neubert, die auch Standortleiterin der Siemens AG in der Hansestadt ist, bilanziert: „Die Lage der Hamburger Industrie hat sich zwar nicht weiter verschlechtert, aber auch nicht signifikant verbessert. Die Unternehmen befinden sich in Wartestellung, hoffen darauf, dass ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung durch konkrete Veränderungen bald erfüllt werden – mit schnell wirksamem Bürokratieabbau, steuerlichen Entlastungen und einer erleichterten Fachkräftepolitik. Erste positive Hoffnungsschimmer dafür sind da, eine echte Aufbruchstimmung muss aber erst noch entstehen.“
Quelle: NORDMETALL