Finanzierungsstopp für die A20:
Schleswig-Holstein fühlt sich abgehängt - Auch Hamburger Projekte betroffen
Unternehmerverbände warnen vor massiven wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen – Bund lässt wichtigstes Infrastrukturprojekt des Nordens wackeln
Kiel, 18. September 2025. Der Streit um den Weiterbau der A20 flammt erneut auf. Nach Medienberichten ist der Ausbau der Autobahn nicht in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes enthalten – ein Schock für Wirtschaft und Logistik im Norden. Unternehmerverbände in Schleswig-Holstein sprechen von einem „herben Rückschlag“ und werfen der Bundesregierung Wortbruch vor.

Jahrzehntelange Hängepartie
Die Autobahn 20, auch „Ostseeautobahn“ genannt, ist seit den frühen 1990er Jahren Teil der deutschen Verkehrsplanung. Nach der Wiedervereinigung sollte sie als West-Ost-Achse von Niedersachsen über Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bis nach Brandenburg die Küstenländer besser verbinden und die überlasteten Routen um Hamburg entlasten.
Während Mecklenburg-Vorpommern den Großteil seiner Strecke bis 2005 fertigstellte, blieb Schleswig-Holstein weit zurück. Erst 2009 begann bei Lübeck der Bau des ersten Abschnitts im Land, heute reicht die A20 hier nur von Bad Segeberg bis kurz hinter Lübeck. Der Lückenschluss nach Westen – inklusive des lange geplanten Elbtunnels bei Glückstadt – stockt bis heute.
Immer wieder verzögerten Klagen von Umweltverbänden und langwierige Planfeststellungsverfahren das Projekt. Trotzdem hielten Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur an der A20 fest. Sie wurde 2003 in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen, 2016 erneut als „vordringlicher Bedarf“ bestätigt. CDU und SPD hatten auf Bundes- wie Landesebene den Weiterbau wiederholt zugesagt – zuletzt wurde die Elbquerung als „Projekt von nationaler Bedeutung“ eingestuft. Auch das Infrastruktur-Sondervermögen der Ampel-Koalition war aus Sicht norddeutscher Politiker und Unternehmer eine Finanzierungsgrundlage.
Mit der jetzigen Finanzplanung droht jedoch ein abruptes Ende: Das Bundesfinanzministerium plant, die Mittel für die A20 zu streichen – trotz jahrzehntelanger politischer Bekenntnisse.
Familienunternehmer kritisieren „Kopfschütteln über Berlin“
„Seit Jahrzehnten ist Hamburg für Schleswig-Holstein der Verkehrsengpass. Das wird sich ohne A20 auch in Zukunft nicht ändern“, warnt Rüdiger Behn, Landesvorsitzender der Familienunternehmer Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein habe mit erneuerbaren Energien die Chance, energieintensive Industrien umweltfreundlich anzusiedeln – doch der Standort sei kaum erreichbar. „Nun nimmt der Bund extra Sonderschulden in Milliardenhöhe auf, um die Infrastruktur auszubauen, aber für das wichtigste Infrastrukturprojekt Schleswig-Holsteins soll nicht genug Geld da sein. Der ‚echte Norden‘ blickt kopfschüttelnd auf Berlin.“
Behn fordert, die A20 dürfe nicht zum Symbol einer „verfehlten Verkehrspolitik“ werden. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther müsse sich mit Nachdruck in Berlin für die Finanzierung einsetzen.
IHK Nord warnt vor Standortschwächung
Auch die IHK Nord äußert scharfe Kritik. Geschäftsführer Alexander Anders spricht von einer „Quadratur des Kreises“: „Wie kann man ein Sondervermögen Infrastruktur beschließen – und dann scheitern Autobahnprojekte am Geld?“ Jahrzehntelang habe man auf Planfeststellungen gewartet, nun fehle plötzlich die Finanzierung.
Die IHK sieht nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sicherheitspolitische Risiken. „Norddeutschland ist das logistische Rückgrat des deutschen Außenhandels. Gleichzeitig ist der Norden ein tragender Pfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur“, so Anders. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur sei daher auch für militärische Mobilität unabdingbar.
Logistikverband „entsetzt“
Besonders hart trifft der drohende Stopp die Logistikbranche. Der Unternehmensverband Logistik Schleswig-Holstein (UVL) warnt vor „immensen Auswirkungen“. Geschäftsführer Thomas Rackow: „Das Straßennetz wird immer maroder, durch Sperrungen müssen unsere Unternehmen längere Wege in Kauf nehmen; das schadet der Umwelt, steigert die Kosten und reduziert die Lenkzeiten.“ Rackow erinnert daran, dass die Logistikbranche mit ihren jährlichen Mautzahlungen bereits Milliarden in den Bundeshaushalt einbringe. „Wir könnten damit die Sanierung und den Neubau von Infrastruktur finanzieren.“ Dass dennoch zentrale Projekte wie die A20 und A21 auf der Kippe stünden, sei „unverständlich und ein Rückschritt“.
Hamburg ebenfalls betroffen
Nicht nur Schleswig-Holstein, auch Hamburg sieht sich durch die unsichere Finanzplanung des Bundes in zentralen Verkehrsprojekten gefährdet. So gilt die A26-Ost („Hafenpassage“) als Schlüsselprojekt, um die Hafenverkehre zu entlasten und die A7 mit der A1 zu verbinden. Die Trasse ist jedoch nicht nur umstritten und von Klagen begleitet, sondern mit geschätzten 1,8 bis 2,3 Milliarden Euro auch eines der teuersten Straßenbauvorhaben im Norden. Bereits heute gibt es Zweifel, ob sie parallel zur neuen Köhlbrandquerung finanzierbar ist.
Darüber hinaus hängt auch der geplante achtstreifige Ausbau der A1 zwischen Harburg und Moorfleet mit Neubau der maroden Norder- und Süderelbbrücken in der Schwebe. Das Projekt ist für den überregionalen Verkehr ebenso wie für den Hafenstandort Hamburg von entscheidender Bedeutung.
Beobachter warnen, dass die anhaltende Finanzierungslücke bei der Autobahn GmbH dazu führen könnte, dass diese Hamburger Großprojekte verzögert, verkleinert oder ganz gestrichen werden – ähnlich wie bei der A20. Offiziell gestoppt sind sie zwar nicht, doch stehen sie ebenso auf der Kippe.
Offene Zukunft
Ob der Bund seine Finanzplanung noch einmal korrigiert, ist ungewiss. Klar ist jedoch: Die A20 bleibt das verkehrspolitische Dauerthema Schleswig-Holsteins. Nach über 30 Jahren Planung und über einem Jahrzehnt Bauzeit im Land droht das Projekt erneut zu scheitern – trotz jahrzehntelanger Versprechen aus Berlin und Kiel.
JM/NW