Hafendämmerung
Wenn Schiene und Politik nicht liefern, droht Hamburg im Hafenrennen gegen Rotterdam abgehängt zu werden
Von: Peter Axel Haas
Hamburg, 28. Juli 2025. Gute 500 Kilometer und sechs Autostunden westlich von Hamburg lässt sich die Zukunft der europäischen Hafenindustrie bestaunen: Mit Massvlakte 2 erweiterte der Rotterdamer Hafen zwischen 2008 und 2014 nicht nur seine Fläche um 20 Prozent auf 6000 Hektar, sondern verdreifachte auch die (hochautomatisierte) Container-Umschlagskapazität. Der bröckelnde Hamburger Port fiel unter anderem deshalb zurück – aber in zehn Jahren soll es nun die seit Dekaden angepeilte Westerweiterung richten.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Im Hamburger Hafen orientierten sich die relevanten Akteure seit bald zwei Jahrzehnten an diesem fatalen Spruch: Um mehr als 22 Prozent sank der Containerumschlag (TEU) seit 2007. Kaimauern und Kräne, Straßen und Brücken, die zum Teil aus dem 19. Jahrhundert stammen, verrotteten immer mehr, während die Hafen- und Terminalkosten immer weiter stiegen – der untätigen Stadt und den unnachgiebigen Gewerkschaften sei Dank.
Zwar zeichnet sich für das erste Halbjahr 2024 ein neunprozentiges TEU-Wachstum ab, das kann aber auch nur ein Zwischenhoch sein. Eine ganz grundsätzliche Erneuerung der maroden Infrastruktur und eine hochmoderne Kapazitätserweiterung muss her, wenn Hamburg den Wettbewerb mit Rotterdam und Antwerpen nicht endgültig verlieren will – eine Erkenntnis, die seit dem Ende Nullerjahre so ziemlich jedem Hafenkenner dämmerte.
Hamburgs Maasvlakte 2 könnte jetzt die Westerweiterung des Hafens werden, endlich: Für eine gute Milliarde sollen bis 2035 die Eurokai-Terminals erweitert und der Waltershofer Drehkreis für besonders große Containerschiffe auf 600 Meter vergrößert werden. Für den seit mehr als 20 Jahren geplanten Ausbau liegt schon drei Jahre lang Baurecht vor, aber der ausgeschiedene grüne Umweltsenator Jens Kerstan soll senatsintern alles getan haben, um den Startschuss zu verhindern, raunen Rathausinsider. Seine wendige grüne Nachfolgerin Katarina Fegebank blockiert nicht mehr, zum Leidwesen knallgrüner Hardliner und zur Freude der Wirtschafts- und Hafensenatorin Melanie Leonhard (SPD). Die sieht den Ausbaustart als Signal zur Aufholjagd gegenüber den zwei großen Benelux-Port-Konkurrenten.
Mehr dürfte es aber auch noch nicht sein: 15 Milliarden werden fällig, um den Sanierungsstau in deutschen Seehäfen abzubauen, rechnet der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) vor. Allein in Hamburg werden die Kosten deutlich über einer Milliarde liegen, prophezeien Hafenakteure, 700 Millionen sind schon für die Sanierung des Steinwerder Kais bei Blohm+Voss und des Salzgitterkais am Hansa-Port prognostiziert. Immerhin will der Bund aus den zwei großen neuen Schuldentöpfen für Infrastruktur und Verteidigung 400 Millionen per anno für alle Seehäfen zur Verfügung stellen – man darf gespannt sein, wieviel davon der neue Maritime Koordinator der Bundesregierung, der umtriebige CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß aus dem Hamburger Norden, an die Elbe umleiten kann. Aber selbst wenn die überfälligen Erneuerungen im nächsten Jahrzehnt vollzogen sein sollten, bleibt ein großes Problem: Die Bahn.
Dejà vu: Auch der Ausbau der zu 150 Prozent überausgelasteten Schienenstrecke Hamburg-Hannover wird seit Jahrzehnten diskutiert, um den flüssigeren und mit fast der Hälfte stark LKW-lastigen Containerabtransport aus dem Hafen zu gewährleisten – aber nichts geht voran. Zuletzt legte die Bahn in einem weithin beachteten Gutachten dar, dass die angedachte Ergänzung der bestehenden Trasse („Optimierte Alpha-E-Variante“) keinesfalls ausreichen werde, um bei vertretbaren Investitionen deutlich mehr Transportkapazität zu schaffen. Statt zwischen Harburg, Lüneburg, Uelzen und Hannover an- und umzustückeln, müsse eine neue Strecke entlang der A7 und durch die Lüneburger Heide her, für weniger Geld mit mehr Auslastungsmöglichkeit. Gegen dieses „Y-Monster“ laufen nun Bewohner der potenziell vom Neubau betroffenen Gemeinden Sturm. Unterstützt werden sie von der einflussreichen Niedersachsen-SPD mit dem Bundesparteivorsitzenden Lars Klingbeil, dessen Wahlkreis in der Heide liegt, sowie dem neuen Hannoveraner Ministerpräsidenten Olaf Lies an der Spitze - beide fürchten um ihr verbliebenes Wählerklientel im Nordosten des Landes.
Das Durchsetzungsvermögen des ebenfalls neuen Bundesverkehrsministers Patrick Schnieder (CDU) und der Berliner Bahnführung werden darüber entscheiden, ob der Widerstand gegen den offensichtlich vernünftigeren Neubau gebrochen werden kann – oder ob wieder mal ein zentrales deutsches Infrastrukturprojekt an der egoistischen Blockade der „Not-in-my-backyard“ (kurz: NIMB) Widerständler scheitert. Die fortdauernde Hamburger Hafendämmerung und der wachsende Erfolg der Rotterdamer Massvlatke dürften sich dann kaum stoppen lassen.
Peter Axel Haas