Industrie im Norden rutscht weiter in die Krise

NORDMETALL-Umfrage zeigt: Geschäftslage bleibt angespannt, Auftragsmangel wächst – Sorge vor Produktionsverlagerungen nimmt zu

Norddeutschland, 18. November 2025. Die wirtschaftliche Lage in Norddeutschlands Industrie bleibt angespannt. Das zeigt die Herbst-Konjunkturumfrage 2025 der norddeutschen Arbeitgeberverbände, an der 141 Mitgliedsbetriebe mit rund 84.000 Beschäftigten teilgenommen haben. Die Daten lassen kaum Hoffnung auf eine schnelle Erholung zu: Viele Unternehmen gehen inzwischen ins vierte Rezessionsjahr, der Auftragsmangel steigt erneut, und ein Allzeit-Höchststand an geplanten Produktionsverlagerungen ins Ausland sorgt für zusätzliche Unruhe.

„Die Lage ist nach wie vor sehr kritisch, die Standort-Sklerose ist nicht geheilt“, resümiert der NORDMETALL-Vizepräsident für Schleswig-Holstein, Robert Focke. „Wir gehen ins vierte Rezessionsjahr, und die Hoffnung auf ein Ende der Krise ist sehr schwach, nicht nur wegen der volatilen internationalen Situation, sondern auch wegen der unverändert schlechten nationalen Rahmenbedingungen.“


Geschäftserwartungen trüben sich weiter ein

Nur 17 Prozent der befragten Unternehmen erwarten in den kommenden sechs Monaten eine Verbesserung ihrer Geschäftslage (Frühjahr: 21 Prozent). 60 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Situation aus, 23 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung. Besonders pessimistisch zeigt sich Schleswig-Holstein, wo 28 Prozent mit einer negativen Entwicklung rechnen. In Hamburg sind es 21 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen nur 14 Prozent.


40 Prozent der Firmen in Norddeutschland leiden derzeit unter Auftragsmangel – der höchste Wert seit Anfang 2021. Besonders betroffen sind der Straßenfahrzeugbau sowie Metallerzeuger und Gießereien (jeweils 80 Prozent), gefolgt vom Maschinenbau (52 Prozent). Einzig der Schiffbau meldet eine solide Auftragslage.


Geschäftslage vielerorts unbefriedigend

Jeder dritte Betrieb beurteilt seine aktuelle Lage als schlecht oder unbefriedigend. Lediglich Schiffbau sowie Luft- und Raumfahrzeugbau kommen durchweg auf „befriedigende“ oder „gute“ Werte. Dagegen meldet die Mehrheit des Straßenfahrzeugbaus sowie der Metallerzeuger und Gießereien deutliche Probleme. Besonders negativ fällt die Stimmung in Nordwest-Niedersachsen aus: 63 Prozent bewerten ihre Lage als schlecht oder unbefriedigend. Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich am optimistischsten mit 90 Prozent positiven oder befriedigenden Einschätzungen.


Ein weiteres Problem: 37 Prozent der Unternehmen gelingt es nicht mehr, Kostensteigerungen durch Preiserhöhungen auszugleichen – elf Prozent mehr als im Frühjahr. Besonders stark betroffen sind Metallerzeuger und Gießereien, der Straßenfahrzeugbau und selbst 57 Prozent der Luft- und Raumfahrzeugbauer.


Wachsende Sorge vor Personalabbau

In den nächsten drei Monaten planen 28 Prozent der norddeutschen Industrieunternehmen, Personal abzubauen – nach 17 Prozent im Frühjahr. In Schleswig-Holstein sind es 21 Prozent. Besonders betroffen sind der Straßenfahrzeugbau, die Metallerzeugung und Gießereien, aber auch ein Drittel der Maschinenbauer. Nur im Luft- und Raumfahrzeugbau überwiegen Pläne zu Einstellungen.


Trotz angespannter Lage bleibt der Fachkräftemangel ein Thema. 51 Prozent der Betriebe melden weiterhin Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. Am stärksten betroffen ist Mecklenburg-Vorpommern (65 Prozent), am wenigsten Schleswig-Holstein (42 Prozent). Bei Auszubildenden zeigt sich die Lage etwas entspannter: 49 Prozent der norddeutschen Unternehmen beurteilen die Bewerberlage als gut oder zufriedenstellend.


Standortattraktivität sinkt weiter – Produktionsverlagerungen steigen

Mehr als die Hälfte der Unternehmen (52 Prozent) sieht eine sinkende Attraktivität des Standorts Deutschland, ein erneuter Anstieg gegenüber dem Frühjahr. Besonders alarmierend: Jeder vierte Betrieb plant Produktionsverlagerungen ins Ausland – so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 2008. Besonders oft betroffen sind Maschinenbauer sowie Luft- und Raumfahrzeugbauer, von denen jeweils rund zwei Drittel entsprechende Schritte erwägen.


Als größte Belastungen nennen die Unternehmen steigende Arbeitskosten (83 Prozent), Bürokratie (66 Prozent), Energiekosten (60 Prozent) und die internationale Politik (59 Prozent).


Appell an die Politik

NORDMETALL-Vizepräsident Robert Focke fasst die Lage drastisch zusammen: „Die Lage der norddeutschen und der Hamburger Industrie ist weiterhin schlecht. Insbesondere unter Metallerzeugern und Gießereien, aber auch im Maschinenbau stellt sich immer öfter die Existenz- und Standortfrage. Aber selbst die Werften und Luft- sowie Raumfahrzeugbauer mit vollen Auftragsbüchern können dem Kostendruck und den schlechten Rahmenbedingungen kaum noch Stand halten: Noch nie planten so viele Betriebe der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie Produktionsverlagerungen ins Ausland wie heute.“


Er fordert schnelle politische Maßnahmen: „Wenn die Bundesregierung nicht rasch für massiven Bürokratieabbau, steuerliche Entlastungen, niedrigere Arbeitskosten durch eine Reform der Sozialversicherungen, niedrigere Energiepreise und eine wirksame Fachkräftepolitik sorgt, wird das die Abwanderung vieler Produktionsstätten ins Ausland weiter befördern. Das wollen wir M+E-Arbeitgeber im Norden verhindern. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung: Handeln Sie schnell, um den Industriestandort zu schützen.“

Quelle: NORDMETALL

JM/NW