Hamburgs nervöse Wahlkämpfer
Von: Peter Axel Haas
Hamburg, 31. Oktober 2024. Bei Hamburgs Wahlkampfplanern liegen die Nerven blank: Die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Bundestagswahl ins Umfeld der Hamburgischen Bürgerschaftswahl vom März vorgezogen wird, steigt täglich. Das ändert alles.
Es hätte so schön einfach sein können. Zum Beispiel für die Wahlkampfmanager der Hamburger SPD: Bürgermeister Peter Tschentscher als seriösen Landesvater mit vergleichsweise guter Stadtstaatenbilanz inszenieren, die Hamburger Sozialdemokratie nach CSU-Vorbild zur verlässlichen Staatspartei mit Ausstrahlung bis weit in das Bürgertum stilisieren, Linken und BSW gleichwohl die Wähler durch Betonung des fürsorglich-sozialen SPD-Profils wegnehmen – so oder ähnlich stellte man sich in der Hamburger SPD-Zentrale die Strategie bis zur Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 vor.
Doch damit ist es im Kurt-Schumacher-Haus wie in den Zentralen der anderen Hamburger Parteien jetzt vorbei. „Berlin versaut alles“, jammert ein führender SPD-Stratege und er hat Recht: Dass die grundlegend zerrüttete Ampel-Koalition den November in Verantwortung überlebt, gilt mittlerweile selbst unter Optimisten als unwahrscheinlich. Spätestens nach den konkurrierenden Wirtschafts-Schaugipfeln des Kanzlers und des Finanzministers sowie der unabgesprochenen Aufwärmung der Idee eines Industrie-Super-Subventions-Topfes durch den Klimaminister, der auch als Wirtschaftsminister unterwegs ist, setzt kaum noch jemand Hoffnung in diese Regierung. Viel spricht dafür, dass die Koalitions-Kontrahenten Scholz, Habeck und Lindner die gegenseitigen Provokationen bis zur wichtigen Haushalts-Abstimmung am 14. November auf die Spitze treiben – aus massiv gewachsener persönlicher Abneigung, aber auch aus Kalkül.
Vor allem dem FDP-Chef unterstellen Beobachter, dass er den Bundeskanzler absichtlich zur Weißglut treiben wolle. Das Ziel dahinter: Scholz soll in einem Anfall von ungezügelter Wut und politischer Flurbereinigung die liberalen Minister vor die Tür setzen. Dann säßen die Sozialdemokraten mit den Grünen allein in einer Minderheitsregierung und die FDP könnte behaupten: Seht her, wir hatten jetzt doch noch Rückgrat genug, um Posten und Dienstlimousinen für unsere wirtschaftsliberalen Prinzipien zu opfern. Derweil könnte sich Rest-Rot-Grün laut Grundgesetz vom Bundespräsidenten den Auftrag zum geschäftsführenden Weiterregieren geben lassen, was sich angesichts der multiplen Krisen im Lande und auf der Welt aber wohl kaum bis zur regulären Bundestagswahl im nächsten September durchhalten ließe. Am Ende müsste Scholz unter öffentlichem Druck die Vertrauensfrage im Bundestag stellen und wie 2005 Gerhard Schröder absichtlich verlieren, damit das Staatsoberhaupt nach drei Wochen den Bundestag auflösen kann und das Volk spätestens noch mal sechzig Tage später zur Wahlurne gehen darf.
Kein Zweifel, das Ganze ist eine politische Gleichung mit vielen Unbekannten und vor allem mit einem Haken: Ob der stoische Norddeutsche Olaf Scholz wirklich zur Weißglut zu bringen ist, steht in den Sternen. Gleichwohl wird in Berlin über zwei Wahltermine zum nächsten Deutschen Bundestag spekuliert, sollte der Ampelabwicklungsprozess tatsächlich ab November ins Rollen kommen: Direkt parallel zur Hamburgischen Bürgerschaftswahl am 2. März oder eine Woche später, am 9. März. Und genau das strapaziert die Nerven der Hamburger Wahlkampfplaner.
In der immer noch bei 30 Prozent taxierten Elb-SPD wird die Überlagerung der regionalen Inszenierung – siehe oben – durch das schlechte Scholz-Image und die schwachen 15 Prozent-Umfragewerte im Bund befürchtet. Die CDU wiederum könnte auf die Idee kommen, Scholzens Hamburger Niederlagen wie das G 20-Gipfelchaos, das Elbtower-Baustopp-Desaster und die vergeigte Olympiabewerbung zum Thema zu machen, um auch Tschenscher zu schaden. Und obendrauf den Cum-Ex-Skandal am Kochen zu halten, in dem der Verdacht immer noch nicht völlig ausgeräumt ist, dass Scholz als Bürgermeister und Tschentscher als Finanzsenator der Warburg-Bank hinterzogene Steuern nachträglich erließen, weil die feinen Banker kräftig an die SPD Hamburg-Mitte spendeten. Trotz dieser Überlegungen gibt es auch in der Elbunion Befürchtungen in Sachen Doppelwahl: Die nur langsam ansteigende Bekanntheit ihres umtriebigen Spitzenmannes Dennis Thering würde durch die Konzentration auf einen „Friedrich Merz muss Kanzler werden“-Wahlkampf nicht befördert. Ganz abgesehen von der Verdrängung wichtiger Landesthemen wie der gescheiterten rot-grünen Verkehrspolitik durch Bundesangelegenheiten. Und auch die Grünen, denen Demoskopen zwischen Alster und Elbe immer noch 17 Prozent plus X zutrauen, müssten fürchten, auf ein deutlich niedrigeres Bundesniveau abzusinken.
Doppelgleisig fahren, bundespolitische mit Landesthemen verbinden, lautet nun die Ansage für einen Plan B in den Parteizentralen. Wem das wie gelingt, ohne dass alle mit den Nerven am Ende sind, wird in den nächsten Wochen beobachtet werden können.
Peter Axel Haas