Wirtschaft warnt vor Folgen des Hamburger Klimavolksentscheids
Verbände sehen „Bärendienst für den Klimaschutz“ – Sorge um Mieten, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit
Hamburg, 13. Oktober 2025. Mit deutlicher Kritik reagiert die Hamburger Wirtschaft auf den Erfolg des Volksentscheids „Zukunftsentscheid“, mit dem die Hansestadt das Ziel der Klimaneutralität auf 2040 vorgezogen hat. Während die Initiatoren den Ausgang als Meilenstein feiern, sprechen Wirtschafts- und Branchenverbände von einem „Pyrrhussieg“ und warnen vor sozialen und ökonomischen Verwerfungen.
„Die bei einer demokratischen Abstimmung zustande gekommene Verschärfung des Klimaschutzgesetzes ist jetzt Realität“, sagte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Doch der Erfolg der Initiatoren könne sich als „Scheinerfolg“ erweisen – „dessen Kosten am Ende die Mieterinnen und Mieter der Stadt tragen müssen.“ Besonders Menschen mit geringem Einkommen würden die Last steigender Mieten spüren.
Auch der Immobilienverband IVD Nord sprach von einem „schwarzen Tag für Hamburgs Mieter, Eigentümer und Wirtschaft“. Ohne zusätzliche Einnahmen könne die Stadt die milliardenschweren Mehrausgaben nicht stemmen, warnte der stellvertretende Vorsitzende Carl-Christian Franzen: „Woher soll das Geld kommen, wenn nicht aus den Taschen der Hamburgerinnen und Hamburger?“ Starre Vorgaben und steigende Bürokratie gefährdeten Investitionen und Arbeitsplätze.
Auch das Handwerk blickt mit Sorge auf die Folgen. „Mit dem Erfolg des Zukunftsentscheids müssen wir uns auf Unsicherheiten einstellen, die Investitionen in unseren Standort hemmen“, sagte
Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. Das Votum werde die Klimawende „nicht beschleunigen, sondern die Akzeptanz für zielführenden Klimaschutz belasten.
Kritik auch aus der Handelskammer Hamburg: “Die Handelskammer Hamburg warnte vor starren Strukturen und überbordender Bürokratie. „Die nun beschlossenen Vorgaben und jährlich drohenden Sofortprogramme außerhalb parlamentarischer Kontrolle sind der falsche Weg“, erklärte
Präses Prof. Norbert Aust. Dies könne Hamburgs Wirtschaft im Wettbewerb um Investitionen und Innovationen schwächen.
Besonders deutlich wurde der
Verein Hamburger Spediteure (VHSp), der vor einer „Entkopplung von der wirtschaftlichen Realität“ warnte. Vorsitzender Axel Plaß betonte: „Klimaschutz ist richtig und wichtig – aber er muss wirtschaftlich leistbar bleiben.“ Der Volksentscheid sei demokratisch legitimiert, aber ökonomisch riskant. Nur 23 Prozent der Wahlberechtigten hätten aktiv zugestimmt – „das ist keine breite gesellschaftliche Basis“, so Plaß.
Der Verband fürchtet, dass Hamburg mit den neuen Zielvorgaben in zentralen Infrastrukturfragen den Anschluss verlieren könnte. Das neue Klimaschutzverbesserungsgesetz verlangt, die CO₂-Emissionen bis 2030 um 70 Prozent und bis 2040 um 98 Prozent zu senken – tiefgreifende Eingriffe, die nach Einschätzung der Spediteure „in diesem Zeitraum technisch und wirtschaftlich kaum realisierbar“ seien. Plaß warnt vor den Folgen für die Logistikbranche, die als Rückgrat des Hafens und der städtischen Wirtschaft gilt. „Wir brauchen verlässliche Zeiträume, tragfähige Förderprogramme und eine funktionsfähige Infrastruktur“, so der VHSp-Chef. Unter dem Druck des Volksentscheids drohten kurzfristige Sofortprogramme, „ohne dass die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorhanden sind. “Zudem sieht der Verband die Gefahr, dass der Bund künftige Investitionen in Hamburgs Verkehrsprojekte infrage stellt. „Wenn in Berlin der Eindruck entsteht, Hamburg wolle seinen Straßenverkehr drastisch zurückfahren, geraten Projekte wie die
A 26 Ost, die Köhlbrandquerung oder der Ausbau des Hafenhinterlandverkehrs schnell ins Hintertreffen.
“Klimaschutz und Infrastrukturentwicklung dürften keine Gegensätze sein, mahnt Plaß. „Wer jetzt die Verkehrsinfrastruktur zurückfährt, entzieht der Energiewende und der Wirtschaft die Grundlage.“ Hamburg brauche einen realistischen Fahrplan, der Investitionen, Beschäftigung und ökologische Ziele in Einklang bringe.
Ähnlich kritisch äußerte sich der
Präsident der Unternehmerverbände Nord (UVNord), Dr. Philipp Murmann. „Das Ja zum Zukunftsentscheid ist eine Hypothek auf die Zukunft“, sagte er. Die entstehende Unsicherheit sei „Gift für Investitionen und Arbeitsplätze“.
Kommentar: Kampagne mit Schieflage
Der Ausgang des Volksentscheids ist nicht zuletzt auch das Ergebnis einer äußerst professionellen und präsenten Kampagne der Initiatoren. Mit Plakaten in der ganzen Stadt, Tür-zu-Tür-Aktionen, Anzeigen und prominenter Unterstützung gelang es ihnen, das Thema emotional aufzuladen und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Auf der Gegenseite jedoch blieb eine gemeinsame, schlagkräftige Gegenkampagne der Wirtschaftsverbände aus. Trotz großer Betroffenheit vieler Branchen trat die Wirtschaft unkoordiniert und leise auf.
Die Frage steht im Raum: Hätte ein konzertiertes Auftreten, eine abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit oder gar eine eigene Informationskampagne den Ausgang verändern können? Klar ist: In der öffentlichen Wahrnehmung fehlte der Wirtschaft eine gemeinsame Stimme – und damit womöglich die Chance, die Debatte über Klimaschutz, soziale Balance und wirtschaftliche Vernunft breiter zu führen.
Jasmin Misssler /NW
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