Versammlung VEEK: Zwischen Tradition und Aufbruch

Die Ehrbaren Kaufleute werben für einen neuen Schulterschluss – und zeichnen Hamburgs Weg bis 2040


Hamburg, 31. Dezember 2025. Einmal im Jahr, am letzten Arbeitstag, versammeln sich Hamburgs Kaufleute im Börsensaal, um einer jahrhundertealten Pflicht nachzukommen: Rechenschaft abzulegen. Was 1517 als kaufmännischer Bericht des Vorstands der Versammlung Ehrbarer Kaufleute begann, ist bis heute ein einzigartiges Ritual geblieben – die öffentliche Betrachtung des vergangenen Wirtschaftsjahres. Oft war diese Jahresschlussversammlung auch eine Abrechnung mit dem Senat. In diesem Jahr jedoch dominieren andere Töne: verbindlicher, strategischer, auf Kooperation bedacht.

Mit einer klaren Zukunftsmarke eröffnete Handelskammer-Präses Prof. Norbert Aust seine Rede: Hamburg 2040. Die Vision einer europäischen Innovationshauptstadt sei kein fernes Ideal, sondern ein bewusst gesetztes Ziel der Hamburger Wirtschaft. Gerade im Kontrast zur Bundespolitik sei diese Zielorientierung notwendig, so Aust. Die neue Bundesregierung verliere sich im Reagieren statt im Gestalten. „Ohne eine konkrete Vorstellung von der Zukunft fehlt die Richtung – und ohne Richtung verliert unser Land Halt und Vertrauen“, sagte der Präses.


Olympia als Katalysator, nicht als Selbstzweck


Besonders deutlich wurde Aust bei der Hamburger Bewerbung um die Olympischen und Paralympischen Spiele 2040. Olympia sei kein Selbstzweck, sondern ein möglicher Beschleuniger für nahezu alle zentralen Handlungsfelder der Standortstrategie: Infrastruktur, internationale Sichtbarkeit, Investitionen, Tourismus und Fachkräftegewinnung. Kaum ein anderes Projekt könne Hamburgs Kräfte so bündeln, Prioritäten schärfen und Tempo erzeugen. Die Vision Hamburg 2040, betonte Aust, gelte jedoch unabhängig von der Olympiabewerbung.


Sicherheit wird zur wirtschaftlichen Kernfrage


Deutlich schärfer fiel der Blick auf die sicherheitspolitische Lage aus. Angesichts geopolitischer Spannungen, hybrider Bedrohungen und wirtschaftlicher Unsicherheit erklärte Aust Sicherheit zum Standortfaktor. „Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Und ohne Freiheit keinen Wohlstand.“


Eine aktuelle forsa-Umfrage unter Hamburger Unternehmen unterstreicht diese Einschätzung: 82 Prozent halten die bisherigen staatlichen Maßnahmen gegen Cyberattacken, Sabotage und Spionage für unzureichend. Nur 13 Prozent sehen die Politik hier gut aufgestellt. Auch Europas sicherheitspolitische Abhängigkeiten kosteten bereits heute Wohlstand, etwa durch geschwächte Verhandlungspositionen im internationalen Handel. Die erneute Vertagung des EU-Mercosur-Abkommens bezeichnete Aust als unverständlich.


Die Handelskammer selbst setzt auf Vernetzung und Vorsorge. Mit dem Dialogforum Sicherheit und Resilienz bringt sie Wirtschaft, Bundeswehr und Sicherheitsbehörden zusammen. Ein gemeinsam mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe entwickelter Krisenvorsorgeplan bietet insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen konkrete Unterstützung – bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal.


Klimaziel ja – aber mit Augenmaß


Auch der Volksentscheid zur Klimaneutralität bis 2040 prägte die wirtschaftspolitische Debatte des Abends. Aust stellte klar: Am Ziel des Klimaschutzes gebe es aus Sicht der Hamburger Wirtschaft keinen Zweifel. Die Ausgestaltung des Entscheids jedoch berge erhebliche Risiken. Starre Jahresziele, automatische Sofortprogramme und zusätzliche Berichtspflichten sorgten für Unsicherheit – und Unsicherheit sei der Feind jeder Investition.


Die forsa-Zahlen sind eindeutig: 56 Prozent der Unternehmen erwarten negative Auswirkungen auf die Standortattraktivität, nur 18 Prozent positive. Mit der Strategie „Hamburg Net Zero“ wirbt die Handelskammer für einen pragmatischen Pfad, der Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit verbindet – durch den Ausbau erneuerbarer Energien, wettbewerbsfähige Strompreise, Wasserstoffinfrastruktur im Hafen, Technologieoffenheit, schnellere Genehmigungen und weniger kleinteilige Regulierung.


Direkte Demokratie weiterentwickeln


Aus der Debatte um den Klimaentscheid leitet die Handelskammer eine grundsätzliche Frage ab: Wie zukunftsfest ist die Hamburger Volksgesetzgebung? Aust plädierte für eine behutsame Modernisierung – nicht zur Schwächung der Bürgerbeteiligung, sondern zu ihrer Stärkung. Weitreichende Entscheidungen sollten breitere Mehrheiten erfordern, wirtschaftliche Konsequenzen vorab transparent gemacht werden dürfen und die Finanzierung von Volksinitiativen – insbesondere aus dem Ausland – offenliegen.


Warnung vor einem übergriffigen Staat


Sorgen bereiten der Handelskammer zudem wachsende staatliche Eingriffe in unternehmerische Freiheit. Bürokratiekosten, neue Regulierungen und geplante Gesetze wie die Tariftreue drohten Investitionen zu bremsen. Aust formulierte es zugespitzt: „Der Staat leistet zu wenig dort, wo er muss – und zu viel dort, wo er nicht soll.“


Appell an Verantwortung und Mut


Bereits zu Beginn der Versammlung hatte VEEK-Vorsitzender Jochen Spethmann den Ton gesetzt. Er warnte davor, Freiheit und Verantwortung zunehmend an den Staat zu delegieren. Demokratie lebe von Beteiligung, von Mitgestaltung und der Bereitschaft, auch Zumutungen zu akzeptieren. Eine ausgeprägte Fehlervermeidungskultur bremse Reformen und Innovationen, sagte Spethmann und forderte mehr Risikobereitschaft in Politik und Verwaltung.


Mit Blick auf die direkte Demokratie unterstützte er die Forderung nach einer Überprüfung und Erhöhung des Quorums bei Volksentscheiden. Entscheidungen mit großer Tragweite dürften nicht von gut organisierten Minderheiten bestimmt werden; ihre Legitimation müsse gestärkt werden.

JM/NW